In Ein Abenteuer

Lust auf ein kleines Abenteuer? Kommst Du mit? Es hat nichts mit meiner Arbeit zu tun.

Es begann Ende März, donnerstags mittags auf dem Sofa. Home Office sei dank, saßen mein Mann und ich da und ich erzählte ihm von einer Bekannten aus dem Kindergarten, die mit ihrer Familie wenige Tage zu vor eine Mutter mit zwei Kindern aus der Ukraine aufgenommen hatte. „Ich überlege die ganze Zeit, ob wir das auch könnten,“ sagte mein Mann. „Ich auch,“ war meine Antwort. Drei Sätze später waren wir uns einig. Wir machen das.

Ich rief die Bekannte aus dem Kindergarten an und fragte, wie das ginge, was man machen muss und welche Probleme sie hatten. Sie empfahl uns eine Webseite, über die sie ihre Gäste gefunden hatte und eine Meldung an die Stadt Solingen. 

Auf einmal geht alles ganz schnell!

Abends schrieb sie mir eine Nachricht. Eine Freundin ihres Gastes sei auf dem Weg in Richtung Deutschland. Ob wir sie aufnehmen könnten? Nach Hochrechnung der theoretischen Reisezeiten vielleicht schon am nächsten Abend. Ähm, ja … kurz denken … Okay! 

Die Familie auf der Flucht würde am frühen Freitag Morgen in Warschau sein und sich dann melden, hatte es an jenem Donnerstag Abend geheißen. Es stellte sich heraus, dass es ein Missverständnis war. Sie meldeten sich am nächsten Morgen, waren aber noch in der Ukraine. Eine Mutter mit einer elf- und einer siebenjährigen Tochter. Wir tauschten ein paar Nachrichten und Fotos aus und waren uns einig in unser gemeinsames Abenteuer zu starten. Für sie hieß es, ihren Mann verabschieden, ihre Sachen packen und einen Bus Richtung Warschau nehmen. Für uns kurz denken und mit den Vorbereitungen beginnen.

Unsere Kinder nahmen die Nachricht, dass es Familienzuwachs geben würde, erstmal mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. Es dauerte ein bisschen, bis sie anfingen, Fragen zu stellen. Wir hatten immer versucht, den Krieg und seine Folgen nicht vor unseren Kindern zu besprechen. Plötzlich wurde uns klar, dass sie viel mehr wussten, als wir ahnten. „Warum kommen nur die Mama und ihre Töchter?“, war eine Frage. „Weil der Vater dort bleiben muss“, war die Antwort meines Mannes. „Der muss helfen das Land zu verteidigen“, erklärte der Große. „Aber dann kann er doch sterben“, stellte die Kleine fest. Wir seufzten tief und konnten nur nicken. Was ist darauf eine kluge Antwort? Die beiden merken schnell, wenn wir versuchen, ihnen was vorzumachen. „Wir hoffen, dass niemand sterben muss“, beschloss der Große.

Am Samstag Morgen erhielt ich eine Nachricht, dass sie irgendwo im nirgendwo zwischen der ukrainisch/polnischen Grenze und Warschau wären, sechs Stunden an der Grenze festgehangen hatte und nicht eine Sekunde geschlafen hatten. Die Mutter schrieb, sie würde am liebsten bis Warschau fahren, duschen und umkehren. Es war das erste Mal, dass sie ihr Land verließ und ein anderes kennenlernte. Plötzlich machte sich Panik vor dem Unbekannten breit. In Warschau angekommen versuchte sie dann doch ihre Weiterreise zu organisieren. Die kostenlosen Kontingente der Bahn waren auf Tage ausgebucht. Wenig später schrieb sie, sie würden einen Bus nach Berlin nehmen, den sie bezahlen müsste und vermutlich gegen 23.00 Uhr dort sein.

Eine kleine Pause auf dem weiten Weg

Während sie in Warschau irgendwo saßen und versuchten, sich ein bisschen auszuruhen, bereiteten wir weiter alles vor. Freunde, die wir eigentlich zum Grillen eingeladen hatten, wurden kurzer Hand zur Hilfe herangezogen. Parallel suchten wir nach Möglichkeiten nachts von Berlin zu uns zukommen oder dort zu übernachten. Es war von einer Notunterkunft am Flughafen Tegel oder auf der Messe die Rede. Irgendwann nach 23.00 Uhr schrieb sie, sie wären in Berlin und man hätte ihnen eine Unterkunft und etwas zu Essen für die Nacht angeboten. Am nächsten Tag könnte man dann weitersehen. Ihre Töchter waren ganz klar der Meinung, keinen Meter mehr weiter zu wollen. In dieser Nacht schlief ich wenig. In der Nacht davor war es noch weniger gewesen. Auch wenn ich sie nicht kannte und nur ein paar Bilder gesehen hatte. Wir machten uns Sorgen. Wer hatte ihnen eine Unterkunft angeboten? Würden sich diese Menschen wirklich kümmern? Was würde am nächsten Tag passieren? Was könnten wir tun, wenn sie sich am nächsten Tag nicht melden würden?

Am nächsten Vortag stellte sich raus, dass alles gut war. Sie hatten geschlafen, gefrühstückt und waren bereit für die letzte Etappe ihrer langen Reise. Vier mal Umsteigen, hatte jemand gesagt, dann wären sie Flughafen am Berliner Hauptbahnhof. Ich schrieb zurück: dreimal umsteigen und ihr seid in Solingen und ich würde sie in Wuppertal abholen. Dann wären es nur zweimal. Wir hatten einen Plan. Ich fuhr nach Wuppertal und war gerade am Bahnhof, als die Nachricht kam, der Zug wäre auf freier Strecke stehen geblieben und würde sich verspäten. Er stand kurz vor Oelde. Ich entschloss mich, ihnen entgegen zu fahren, und sagte ihr, sie sollten in Hamm aussteigen, wenn der Zug wieder fuhr. Auf den letzten Metern wurde es noch mal richtig spannend.

Endlich!

Zwei Stunden später als geplant fielen wir uns in Hamm am Bahnhof in die Arme. Fremde Menschen, aber doch irgendwie vertraut. Die nicht mal drei Tage ständig Nachrichten hin und her schicken hatten dafür gesorgt, dass wir das Gefühl hatten, einander zu kennen. Und jetzt? Okay, englisch. Ich war mal richtig gut und musste feststellen, dass ich mindestens die Hälfte der Vokabeln schlicht vergessen hatte, und die andere Hälfte auch brauchte sich wieder in Präsenz zu rufen. Ein Glück war ich damit nicht alleine und wir stotterten uns beide einen zurecht. Die beiden Töchter waren schlicht überfordert mit allem. Wir hievten den großen Reisekoffer ins Auto und fuhren nach Solingen. 

Unterwegs erzählte mir die Mutter von der Flucht und wie die Entscheidung gefallen war, das Land zu verlassen. Nach dem ihre Wohnung nach einem Angriff in zwei Teile gebrochen war, sind sie kreuz und quer durchs Land, um festzustellen, dass sie nirgends wirklich sicher waren. Also weg. Raus aus dem Land, während der Ehemann und Vater der beiden Mädchen nach Odessa wollte. Ausgerechnet Odessa, welches in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder angegriffen wurde. 

Neueste Beiträge

Einen Kommentar hinterlassen

Contact Us

We're not around right now. But you can send us an email and we'll get back to you, asap.

Nicht lesbar? Text ändern. captcha txt

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen

Entdecke mehr von Mediengestaltung | Grafik und Design | Reinzeichnung

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen