Oh man, wenn ich mich eins gerade von null auf Hundert in unter einer Millisekunde bringt, dann Sprüche wie: „Man hat sich doch selbst dazu entschieden, Kinder zubekommen. Jetzt, wo sie die Verantwortung nicht mehr auf andere abschieben können, sind auf einmal alle überfordert.“ Oder auch gerne: „Ich kann dieses Gejammer echt nicht mehr hören. Also, ich damals, mit drei Kindern. Ich bin ja gerne Zuhause geblieben und es war überhaupt kein Problem. Dann muss die Karriere halt warten.“ „Früher ging das auch. Da reichte das Gehalt des Mannes. Aber heute muss es ja der dicke SUV, dreimal im Jahr teurer Urlaub und die große Wohnung in bester Innenstadtlage sein.“ „Kinder sind Privatvergnügen“.
Zitate dieser Art könnte ich ohne Ende bringen. Sie kommen in der Regel von Frauen. Frauen, die entweder noch keine Kinder haben oder Frauen, deren Kinder längst alt genug sind, um selbst Kinder haben zu können (aber ganz offensichtlich noch keine haben). Frauen, die auch kleine Kinder haben, aber sich für eine traditionelle Rollenverteilung entschieden haben. Jede und jeder entscheidet selbst, wie sie oder er sein Leben führen möchte. Diese Diskussionen zeigen allerdings gerade mal wieder, dass Frauen keine Männer brauchen, um sich zurück an den Herd zu katapultieren. Das schaffen sie nun wirklich alleine.
Mutti an den Herd!
Meine Idee von einem Leben ist das nicht. Wir haben uns bewusst für Kinder entschieden. Wir haben uns allerdings bewusst dafür entschieden, finanziell möglichst unabhängig voneinander zu sein. Keiner von uns wollte je in der Situation sein, den anderen aushalten zu müssen, weil er oder ich sonst nicht weiß, wovon das Essen bezahlt werden soll.
Aktuell werden wir in eine Rolle gedrückt, in die wir nie wollten. Keiner von uns beiden muss Karriere machen. Das hatten wir. Es war eine schöne Zeit. Von uns selbst und unserer Beziehung ist da nicht viel nach geblieben. Es gibt definitiv wichtigeres als Karriere.
Wir benötigen keine dicken Autos. Ich würde mich nur ärgern, wenn ich mir jetzt für viel Geld einen Neuwagen kaufen würde. Dann müsste ich die Kinder durchgehend anmeckern, weil sie halt nicht besonders vorsichtig mit den Sitzen umgehen, sondern nach einer erfolgreichen Matschschlacht komplett siffig einsteigen und alles gleichmäßig verteilen.
Wir brauchen auch keinen All-inklusiv-Urlaub im schicken Hotel in sonst wo. Am besten noch dreimal im Jahr. Da müsste ich mich ja zum Frühstück anziehen und wäre da schon völlig genervt, weil die Kinder halt nicht brav am Tisch sitzen. Ein Ferienhaus ist schon grenzwertig.
Wir brauchen auch nicht ständig neue Klamotten und teures Spielzeug. Die Kinder tragen meist gebrauchte Sachen. Außer Hosen, die tatsächlich nur selten mehr als ein Kind überleben. Und ich selbst achte zwar auf Qualität, aber bei mir halten die Sachen auch mal zehn Jahre und mehr.
Wir haben unsere Kinder nicht so früh in eine „Fremdbetreuung“ gegeben, weil wir keine Verantwortung für sie übernehmen wollen. Alleine dieses Wort. Wir haben sie nicht einer x-beliebigen Person auf der Straße in die Arme gedrückt, sondern pädagogisch ausgebildete Menschen ausgewählt und unsere Kinder liebevoll an diese gewöhnt. Und wir haben dieses viel früher getan, als wir wollten. Einfach, weil unsere Kinder unzufrieden waren. Sie waren nur zufrieden, wenn andere Kinder um sie herum waren. Es laut war. Und sie möglichst viele Reize wahrnehmen konnten. So ist es bis heute.
Das Positive
Wir genießen es gerade alle vier, morgens keinen Stress mit dem Aufstehen zu haben. Mittagessen zu können, wann wir wollen und Hunger haben. Den Tag komplett im Schlafanzug zu verbringen. Abends noch einen Film sehen zu können, ohne daran zu denken, dass wir am nächsten Morgen wieder früh rausmüssen. Ecken in unserer Gegend entdecken, von denen wir nicht mal ahnten, dass es sie gibt.
Das Negative
Wir sehen, dass unsere Kinder leiden. Unser Sohn, der stundenlang ungenießbar ist, weil er mit seinem besten Freund wilde Pläne am Telefon gemacht hat und die blöden Eltern gesagt haben: „Machen wir. Aber keine Ahnung, wann.“ Unsere Tochter, die wütend heult, weil ihre beste Freundin nicht zu erreichen ist und sie nicht mal telefonieren können. Die Frage „Ist heute Corona vorbei?“ kommt jeden Morgen. Das Drama nach der Antwort auch.
Wir sehen uns, wie wir zwischen Angestelltendasein und Selbstständigkeit jonglieren. Beide im Homeoffice arbeiten oder auch nicht. Keine Zeit für uns selbst haben. Geschweige denn füreinander.
Unser Beitrag
Und dann hören wir von allen Seiten, alle müssten gerade ihren Beitrag leisten. Es ginge doch den Gastronomen so schlecht, der Autoindustrie, den Reiseunternehmen, den Einzelhändlern, den Bundesligamitarbeitenden … die kleinen Gastronomen und Reiseunternehmer unterstreiche ich sofort. Die sind aktuell sprichwörtlich am Arsch (entschuldige bitte die Ausdrucksweise, aber es ist doch so). Was gerade passiert, kommt in Teilen einem Berufsverbot auf nicht absehbare Zeit gleich. Die Einzelhändler auch. Schließlich wird gerade mehr übers Internet bestellt als je zuvor. Funktioniert übrigens nur sehr mäßig. Die Paketdienste sind scheinbar komplett überfordert.
Die Autoindustrie und die Bundesliga? Ja?! Wirklich? Ja, da hängen viele Jobs dran. Keine Frage. Die sind wichtig. Einzelunternehmer und kleine Unternehmen bekommen Folgendes zu hören: „Wenn ihr eine solche Krise nicht finanziell überleben könnt, habt ihr schlecht gewirtschaftet und nicht genügend Rücklagen gebildet!“ PUNKT.
Ernsthaft, wer benötigt gerade ein neues Auto? Wir fahren seit zwei Monaten mit einer Tankfüllung, und die ist immer noch halb voll. Und Fußball? Wo sollen wir den sehen? In der Kneipe? Sehr witzig.
Unsere Jobs zählen nicht?!
Hat sich mal jemand die Mühe gemacht, auszurechnen, wie viele Jobs an der Kinderbetreuung hängen? Wie viele Eltern gerade um ihre Arbeitsstelle bangen, weil sie ihre Arbeit gar nicht oder nur sehr halbherzig machen können? Wie viele Therapeuten nachher gebraucht werden, weil diese Eltern körperlich und psychisch völlig am Ende sind? Wie viele Menschen auf kurz oder lang schlicht arbeitsunfähig sind, weil sie dem Druck nicht mehr gewachsen waren?
#CoronaElternRechnenAb
Ins Leben gerufen wurde diese Aktion von Karin Hartmann und Sonja Lehnert. Details dazu sind zu finden auf https://phoenix-frauen.de/coronaelternrechnenab/.
Unsere Rechnung
Wenn ich meine Arbeitszeit in Rechnung stellen würde, kämen mir die Tränen. Deswegen werde ich es lassen. Ich mache nur einen Teil der Rechnung auf:
LEISTUNGSZEITRAUM: 16.03.2020 – 08.05.2020 (8 Wochen abzgl. Feiertage und 4 Tage Kita-Ferien, also 34 Tage)
1. BETREUUNG (BEREITSCHAFT) für zwei Kinder
Stundenaufwand täglich: 8,5
Gesamtstundenzahl: 289
2. VERSORGUNG
Erbrachte Leistungen: Mittagsessen und Nachmittagsschmaus, 34 Tage für 2 Kinder
Das ist es, was wir gerade neben unserer normalen Arbeit zusätzlich leisten müssen. Waschen, putzen und Co. ist normaler Alltag. Das fließt in keine dieser Rechnungen mit ein. Wer rechnen kann, mag mal kurz darüber nachdenken, was da bei einem Vollzeitjob und einer Selbstständigkeit (die eigentlich eher mehr als Vollzeit ist) vom Tag überbleibt. Bingo! Mind. -0,5 Stunden. Pausenzeiten nicht gerechnet.
Wirklich Privatvergnügen?
Ja, es war unser Privatvergnügen und unsere private Entscheidung, Kinder zubekommen.
Doch unser System beruht auf unseren Nachkommen. Ohne Kinder gibt es niemanden, der uns im Alter in den Arm nimmt. Es gibt niemanden, der unseren Müll entsorgt. Es gibt niemanden, der unsere Pillen produziert. Es gibt niemanden, der unser Essen herstellt. Es gibt niemanden, der uns im Alter pflegt.
Und wir zahlen gerade fröhlich weiter für eine Leistung, die vom Staat NICHT erbracht wird. Kindergarten und Schule sind doch umsonst?! Nein, sind sie nicht. Sie werden über Steuergelder finanziert. Und glaubt mal nicht, dass Eltern aktuell weniger Steuern zahlen müssen. Wenn sie es sich noch leisten können und sich den Spießrutenlauf antun, mit ihnen ins Restaurant zu gehen, ja. 7 % MwSt. statt 16 % aufs Essen. Aber nur aufs Essen.
Bald sind Wahlen!
Die nächsten Wahlen kommen und in NRW sogar ziemlich bald. Bitte liebe Eltern, geht hin und macht klar, dass wir viele sind und das wir sehr wohl eine Lobby sind, die Macht hat!
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[…] Die fehlende Kinderbetreuung.Für uns wohl die einschneidenste Folge der Beschränkungen. Von heute auf morgen und ohne echte Vorbereitungszeit hatten wir beide Kinder den ganzen Tag Zuhause. Ich gebe zu, wir haben es geahnt und uns und auch die Kinder schon vorher darauf vorbereitet, getroffen hat es uns dennoch. Vollzeitanstellung, Selbstständigkeit, Haushalt und zwei Kleinkinder unter einen Hut zubringen ist Stress pur. https://hilkebarenthien.de/coronaelternrechnenab/ […]
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Ein sehr guter, wertvoller Beitrag! Herzlichen Dank für die klaren Worte, die ich alle unterschreibe.
Lieben Dank! 🙂